
- nisarga.de
- Geschreibsel
- Geschreibsel anzeigen
Geschriebenes
Ab in die Höhle – oder doch nicht? - März 2014
Wir kennen alle die vielen Geschichten, bei denen Suchende – vor allem in der Vergangenheit – sich für lange Zeit in Höhlen oder an andere einsame Orte zurückgezogen haben. Und wir haben sicherlich des Öfteren schon gehört, dass das „sich Zurückziehen“ von der Welt eine Bedingung für die Erkenntnis unserer wahren Natur ist. Stimmt das wirklich (noch)?
Ich würde sagen, ja, eine gewisse Zeit der Ruhe, der Stille, des Zurückziehens ist notwendig. Der Verstand muss zur Ruhe gebracht werden, damit die subtilen Zustände hinter seiner ewigen Geräuschkulisse sichtbar/erfahrbar werden. Doch ich brauche niemanden zu fragen, um zu wissen, dass dieses Zurückziehen in unserer hektischen Zeit den meisten – wenn nicht fast allen – schwer, wenn nicht zu schwer fällt.
Das, was du bist und versuchst zu erkennen und zu verwirklichen – das höchste Selbst, die höchste Realität – hat mit dieser Welt nicht viel zu tun. Wie also kannst du in der Welt bleiben wollen (als denkende und handelnde Person), und glauben, zugleich jenseits davon kommen zu können? Du musst gewissermaßen die Welt (innerlich) aufgeben – dich also zurückziehen –, sonst wird‘s nichts mit der finalen Erkenntnis. Doch das scheint nahezu unmöglich zu sein, denn irgendwie musst du ja auch hier leben, dein Geld verdienen, den Körper versorgen usw.
Die Abhilfe für diesen unlösbar erscheinenden Gedankenspagat ist das Verstehen. Wurde verstanden, aus was die Welt wirklich besteht und was es mit ihr auf sich hat, erfolgt das notwendige Zurückziehen ganz automatisch. Dann brauchst du dich noch nicht einmal eine Sekunde dafür anstrengen. Die notwendigen Umstände werden sich von ganz alleine – ohne dein bewusstes Zutun – etablieren.
Kurz zusammengefasst: Diese Erscheinung der Welt ist für dich – für das, was du wirklich bist – wie Gift. Sie hat dich in ihren Bann gezogen und dafür leidest du als scheinbar menschliches Würstchen bis zum Ende. Die paar Momente, in denen du wirklich Freude und Glück empfindest, sind – gemessen an deiner Lebensspanne – äußerst kurz und eher selten (im Grunde behelfen wir uns die meiste Zeit mit der Hoffnung, dass es doch noch gut oder besser wird usw.). Das wahre, ewige „Glück“ liegt jenseits allem Weltlichen und kann nicht mit dem Denken erfasst oder erfahren werden.
Man sagt auch, wenn man das Selbst (seine wahre Natur) vergessen hat, erscheint die Maya (die Illusion der Welt).
Sri Siddharameshwar Maharaj hatte das Problem mit dem Zurückziehen aus der Welt schon vor ca. 80 Jahren in einem einfachen Vergleich klar gemacht; das Problem und wie man es lösen kann, beschrieben.
Man serviert dir ein gutes Essen, doch der Meister sagt: „Iss es nicht!“ Du jedoch wirst eher geneigt sein, zu sagen: „Das ist doch meins, warum soll ich es nicht essen?“ Dein Verstand versteht nicht und wird protestieren. Im Vergleich würdest du sagen: „Warum soll ich mich denn von der Welt zurückziehen?“
Was aber, wenn der Meister bezüglich des Essens dir den Grund für seine Anweisung nennt? Wenn er sagt: „Weil es vergiftet ist!“ Was jetzt passiert, ist klar, oder? Du wirst diese Speise sicherlich nicht mehr essen wollen. Vergleichsweise könnte er hier sagen: „Weil dein Interesse an der Welt dich vergiftet und somit zu einem sterblichen Wesen gemacht hat und macht!“
So einfach kann es sein, sich zurückzuziehen, oder etwa nicht? Außer, du vertraust dem, der dich warnt, nicht! Gut, das ist dann allerdings ganz alleine dein Problem. Wenn das Vertrauen fehlt, wirst du keine Fortschritte machen. Schließlich bist du schon lange genug alleine herumgerudert, doch wo hat dich ein Eigensinn hingeführt? Zur Selbsterkenntnis? In das „Erwachen in die Realität“?
Zum besseren Verständnis: Mit einer Giftschlange zu spielen, kann man jetzt nicht unbedingt als ungefährlich bezeichnen. Hat man ihr jedoch den Giftzahn gezogen, ist sie harmlos. Man könnte mit ihr spielen. Ist man in die Realität „erwacht“, wurde damit der erschienenen der Welt der „Giftzahn“ gezogen und man kann nach Herzenslust mit ihr spielen. Sie ist harmlos geworden.
________________________________
© Hermann R. Lehner • nisarga.de