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Geschriebenes
Der Griff ins Leere - April 2014
Du schaust in der Wüste in die Ferne und siehst eine Oase. Es juckt dich in den Fingern, auf dein Kamel zu steigen, dahin zu reiten und ein erfrischendes Bad zu nehmen. Du machst dich auf, reitest hin und dein Wunsch wird in Erfüllung gehen – du nimmst ein erfrischendes Bad.
Ist es Nacht, so siehst du die Oase nicht mehr. Würde jedoch beispielsweise ein Hubschrauber über sie fliegen, so könntest du im Licht seiner Suchscheinwerfer die Palmen oder die glitzernde Wasseroberfläche sehen.
Warum? Weil es eine echte Oase ist.
Wenn diese Oase jedoch eine Fata Morgana wäre, dann würdest du nachts im Schein der Suchscheinwerfer nur Sand sehen. Ebenso würde dein Wunsch nach einem erfrischenden Bad nicht erfüllt werden können – du würdest nie an einer solchen Oase ankommen können.
Warum? Weil eine Fata Morgana eine Erscheinung ist, eine Illusion. Sie existiert nicht wirklich. Und was nicht wirklich existiert, kann auch keine Wünsche erfüllen.
Der nächtliche Traum ist ebenfalls eine Erscheinung. Wärest du in der Lage, im Tiefschlaf nach einer deiner Traumwelten zu greifen, du würdest nur ins Leere tappen.
Diese Welt hier ist nichts anderes als ein langer Traum – ebenso unwirklich. Eine Erscheinung. Was immer du dir ersehnst, kann nicht erfüllt werden oder wird dir bald wieder entfleuchen. Auch hier greifst du ins Leere.
„Verstehe, dass du der bist, der nicht geboren wurde.
Du hast einen Traum in einem Traum gesehen.“
[Saint Sri Samartha Ramdas – aus „Dasbodh“]
Doch die meisten verstehen nicht und rennen ihr ganzes Leben (unwirklichen) Erscheinungen hinterher, die sie früher oder später enttäuschen werden. Nichts von dem, was du dir herbeiwünscht, kann bleiben oder wird dich auf Dauer befriedigen können. Nichts wird bleiben, so wie du es dir vielleicht erträumst.
Wahres „Glück“ ist etwas ganz anders als das, was (er-)denkbar ist und nur der, der sich wirklich erkannt hat, wird es erfahren. Es lohnt nicht, an einer Erscheinung zu hängen und in ihr ernsthaft herumzualbern, besser man verwirft alles und versucht, sich zu erkennen. Dann gehört die Welt dir. Dann kannst du mit ihr spielen. Nach etwas süchteln wird dann gar nicht mehr auftauchen. Wozu auch? Du bist dann (irgendwie) alles.
„Was kann wünschen, wer alles hat?“
[Mandukya-Upanishad]
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© Hermann R. Lehner • nisarga.de