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Geschriebenes
Machtspiele
Nach dem letzten Newsletter kam mehrfach die Frage auf, „Wenn ich doch die höchste Macht (ER/ES) bin, dann müssten sich doch meine Wünsche erfüllen. Wieso tun sie das nicht?“ Diese und ähnliche Überlegungen zeigen jedoch recht deutlich das Missverständnis bezüglich der Suche und ihrem erwarteten Ergebnis. Ich möchte hier dieses Missverständnis anhand eines Vergleiches verdeutlichen.
Stell dir vor, du wärst der Körper. Eines Tages vergisst du das und glaubst, du wärst nur noch einer deiner Finger. Und das auch noch als selbstständiges Einzelwesen. Als Finger hast du natürlich keine Macht. Aber du hättest sie gerne oder/und bildest dir ein, dass du mit deinem individuellen Denken eine gewisse Macht hättest. Wünsche kommen haufenweise zu dir: Du möchtest Beine haben, um davon laufen zu können, willst keinen Ärger mit den anderen Fingern, mit den Zehen usw., wünscht dir dieses und jenes. Doch deine Wünsche erfüllen sich nur gelegentlich und recht zufällig. Du kannst dir das alles nicht so recht erklären. Und mit der Zeit kommst du in deiner Verzweiflung vielleicht auf verrückte Ideen, wie z. B. es muss „da oben“ irgendwie ein höheres Wesen geben, dass dann auch noch allgegenwärtig und allmächtig sein soll (doch wenn etwas allgegenwärtig – also überall - ist, wie kann es dann da oben und ich hier unten sein?) Irgendwann beginnst du vielleicht auch noch, dieses Wesen anzubeten, in der Hoffnung, es möge doch deine Wünsche endlich erfüllen. Oder du verzweifelst und wirst Atheist ... oder was auch immer.
Und nun stell dir vor, du wachst eines Tages von diesem Irrtum auf und erkennst, dass du ja der Körper bist. Klar bist du (hier in diesem Vergleich in Bezug auf den Körper) allgegenwärtig – du bist ja der ganze Körper und nicht nur ein Finger. Wie lächerlich sich jetzt doch die Wünsche des Fingers anfühlen, nicht?
Und selbstverständlich bist du (auch in Bezug auf den Körper) allmächtig. Du bist ja der ganze Körper. Nur: Du übst keine Macht aus, wozu auch? Wenn es dich in der Nase juckt, dann bohrst du einfach mit dem Finger in der Nase. Welche Machtgelüste müsste man dafür wohl haben?
Und du hast (auch in Bezug auf den Körper) die Kontrolle über das Ganze. Doch wozu Kontrolle ausüben? Musst du explizit Kontrolle über deinen Finger ausüben, damit der auch den Weg in deine Nase findet? Natürlich nicht (außer vielleicht, du bist gerade sternhagelvoll).
ER/ES ist „allgegenwärtig“, weil ER/ES alles ist. ER/ES ist „allmächtig“, weil ER/ES alles ist. Doch wer alles ist, hat und braucht keine Wünsche und muss kein Macht ausüben. Wer nicht alles ist (die vermeintliche Person) hat ohne Ende Wünsche, aber kein Macht. Alles geschieht, wie ER/ES es macht – ohne dafür zuvor Wünsche haben zu müssen. Du bist ER/ES.
Solange Suchende glauben, sie könnten als Mensch (Person, Ego) – quasi als Finger – ihre Wünsche erfüllt bekommen, indem sie einen Weg des „Erwachens“ gehen (oder sonst was praktizieren), werden sie weder ihre Wünsche erfüllt bekommen, noch in „die Realität erwachen“. Ihr Weg wird mühevoll, frustierend und erfolglos bleiben.
Wenn „Erwachen in die Realität“ geschieht, dann sind Wünsche keine Wünsche mehr und das natürliche Machtpotential muss niemals ausgeübt werden.
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© Hermann R. Lehner • nisarga.de