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Geschriebenes
Das Eine
Denken, Unterscheiden, Vorstellen. Das sind die Werkzeuge, die der Mensch hat, um zu verstehen. Doch um seine wahre Natur zu entdecken oder zu erkennen, müssen mit Hilfe dieser Werkzeuge alle „erdachten“ Vorstellungen letztlich hinter sich gelassen werden. Hierzu braucht man normalerweise die Anleitung und Hilfe eines „Meisters“, der bereits darüber hinausgegangen ist.
Solange der Suchende jedoch nicht in der Lage ist, über all das „Verständliche“ oder „Vertraute“ hinauszugehen, bleibt er im Verstandeswissen. Meist wird dieses Verstandene oder Gewusste dann als wahr, als richtig oder als bedeutend angesehen und es wird nicht erkannt, dass man sich immer noch im Nicht-Wissen (um die Realität) und letztlich im Irrtum befindet.
Ein typisches Beispiel für vermeintlich richtiges Verstandeswissen, das mir desöfteren zugetragen wird, ist: „Das Eine erlebt sich als (oder durch) viele“. Das klingt gut, nur ist es grundlegend falsch.
Das Eine (die ewige Realität) erlebt überhaupt nicht! Erleben bedingt zwei: Den Erlebenden und das Erlebte. Das Eine hat auch keine Wahrnehmung, denn auch Wahrnehmung bedingt zwei: Den Wahrnehmenden und das Wahrgenommene.
Um beispielsweise einen Ton zu hören, braucht es ein hörendes Ohr (mit Hirn), eine Tonquelle und eine Distanz zwischen beiden. Wäre nur das Ohr da und wäre es damit alles, von woher sollte es einen Ton hören können?
In dem Einen (Oneness, Advaita = Nicht-Dualität) entsteht eine dualistische (dvaita = Dualität) Illusion – letztlich nur ein Gedanke, ein Traum – und damit der Erlebende und das Erlebte etc. Erleben (und damit Wahrnehmung) ist selbst Teil der Illusion – es kommt, es geht und hinterlässt keine Spuren.
Wenn man in die „Realität erwachen“ will, dann erkennt man sich als das Eine (wobei „Erkennen“ hier nur ein Hilfswort mangels passender Worte ist) und dort gibt es weder Erleben noch Wahrnehmen. Diese Gegebenheit, die über die Kapazität des Verstandes hinausgeht – schließlich ist der Verstand von Natur aus ein dualistisches Konstrukt –, bringt die meisten Suchenden ins Schleudern und lässt sie endlos nach befriedigendem dualistischen „Wissen“ umhersuchen. Doch kein Wissen kann auf Dauer befriedigend sein. Denn Wissen ist Teil der Illusion, die wieder verschwindet und Illusion kann dir nicht wirklich etwas geben.
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© Hermann R. Lehner • nisarga.de